Wozu Glyphosat?

Glyphosat: Umfrageergebnisse (Quelle: YouGov)
Glyphosat: Umfrageergebnisse (Quelle: YouGov)

Die Diskussion um die Zulassung von Glyphosat in der EU wirft Zweifel an der repräsentativen Demokratie auf. Über eine Frage, die uns alle angeht, entscheiden Vetreter der EU-Staaten in Brüssel. So weit, so normal. Doch diese Vertreter hatten erhebliche Schwierigkeiten zu einer Entscheidung zu kommen, während sich zugleich, wenn man den Stimmungsbildern glauben schenken darf, eine Mehrheit der europäischen Bevölkerung für ein Verbot ausspricht. Aus demokratischer Sicht stellt sich die Frage: Wie kann es sein, dass in Angelegenheiten gezaudert und gegen den Mehrheitswillen entschieden wird, wo die Bürger eine klare Haltung einnehmen? Schlimmer noch: Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, wonach diejenigen, die vertreten werden sollen, nicht der Auffassung sind, die Entscheidung läge in den richtigen Händen. Was zu der Frage führt: Wie kann es sein, dass wir in einer repräsentativen Demokratie leben, die Bürger sich aber nicht repräsentiert fühlen?

Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft
Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft

Es ist jedenfalls nicht so, dass das demokratische Prinzip angezweifelt würde, wonach nur die Bevölkerung politische Legitimation verleihen kann und legitime Politik dem Volk zu dienen hat. Vielmehr hat die demokratische Idee eine solche Selbstverständlichkeit angenommen, dass sogar Diktatoren sich den Anschein geben, vom Volk autorisiert worden zu sein und im Sinne des Volkes zu handeln. Dies bestätigt Max Webers Überzeugung, dass jeder Mensch „das nicht rastende Bedürfnis“ (Weber 1972, S. 549) verspürt, seine Position zu rechtfertigen, wie unverdient sie tatsächlich auch sein mag. Im politischen Umfeld geschieht das heute beinahe ausschließlich in Berufung auf demokratische Prozesse. Andere Legitimationsformen, die Max Weber noch für ebenso tragfähig hielt (ebd. S. 122ff), haben jede Autorität verloren.

Entsprechend berufen sich auch Entscheidungsgremien der EU auf demokratische Legitimation. Wenn aber nun Beschlüsse im offensichtlichen Widerspruch zur Haltung der Bevölkerungsmehrheit stehen, dann ist das begründungsbedürftig. Sobald eine repräsentative Demokratie den Eindruck erweckt, dass sie die Bevölkerung nicht repräsentiert, muss sie begründen können, weshalb ihr eine direkte Demokratie nicht vorzuziehen ist.

Entscheidung über Glyphosat ist keine Frage der Sachkenntnis

Häufig wird als Begründung die mangelnde Sachkenntnis auf Seiten der breiten Bevölkerung angeführt. Doch im Falle von Glyphosat kommen Zweifel an dieser Argumentation auf. Obwohl es sich auf den ersten Blick um eine reine Sachfrage handelt, erleichtert Sachkenntnis die Entscheidungsfindung offenbar nicht, denn es handelt sich um eine typisch politische Fragestellung, die sich anhand der verfügbaren Informationen weder eindeutig noch abschließend beantworten lässt. So wie es in Brüssel verhandelt wird, scheint sich alles nur noch um die Frage zu drehen, ob Glyphosat nun krebserregend wirke. Wenn dem so wäre, müsste es ohnehin verboten werden. Dann handelte es sich aber nicht mehr um eine politische Entscheidung, sondern mit dem wissenschaftlichen Ergebnis wäre die Sache bereits erledigt. Die Aufgabe der Politiker reduzierte sich dann darauf, dafür zu sorgen, dass die wissenschaftliche Erkenntnis entsprechende gesetzliche Berücksichtigung findet. Das ist keine politische Entscheidung, sondern ein Verwaltungsakt.

Zu einer politischen Frage wird Glyphosat dadurch, dass kein eindeutiges wissenschaftliches Ergebnis dazu vorliegt ob es krebserregend wirkt. Die vorliegenden Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, die wiederum von den Experten unterschiedlich bewertet werden. Das konnte mittlerweile auch jeder Bürger erfahren, der sich ebenso wie jeder Politiker nicht anmaßen würde, die Aussagekraft einzelner Studien besser bewerten zu können als wissenschaftliche Fachleute. Damit ergibt sich die Frage, wie man mit einer Problemstellung umgehen soll, bei der die Experten geteilter Meinung sind. Sachkenntnis hilft nicht weiter, da offensichtlich die besten Spezialisten zu keinem klaren Ergebnis kommen. Aus der Sachfrage wird so die politische Frage wie man mit dieser Unsicherheit umgehen soll. Es geht also um die Frage, welche gesundheitlichen Risiken wir einzugehen bereit sind, welche eventuellen Folgen wir in Kauf nehmen wollen, um ein bestimmtes Pflanzengift in der Landwirtschaft einsetzen zu können.

Demokratie bedeutet, den Menschen die Entscheidung zu überlassen, wie sie ihr Zusammenleben gestalten wollen. Um diese Frage zu beantworten, bietet Repräsentation in diesem Fall keine Vorteile. Der Hinweis auf Sachkenntnis führt in die Irre, denn auch die Repräsentanten können gar nicht anders als sich auf die Sachkenntnis der Experten zu verlassen. Doch damit ist die Frage nicht erledigt: Was die Bürger vor Augen haben, ist nicht eine strittige wissenschaftliche Frage, sondern ein Gesamtbild davon, was dieses Pflanzengift mit unserer Umwelt und damit schlussendlich auch mit uns macht. Glyphosat steht nicht nur im Verdacht krebserregend zu wirken, sondern auch zum Insektensterben beizutragen und schädlich für die ganze Biodiversität zu sein. In einer Demokratie sollte es das Recht der Bürger sein, selbst zu entscheiden, wie sie mit dieser Unsicherheit umgehen wollen.

Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie; Tübingen 1972.

4 Gedanken zu „Wozu Glyphosat?

  1. Wie man es vom reaktionären Verhinderungsmodus der Union gewohnt ist, blockiert sie nun im Bundesrat klammheimlich ein Verbot von Glyphosat, das sie zuvor unterstützt hatte, so lange dem Thema große Aufmerksamkeit beikam. Um möglichst wenig Geräusche zu erzeugen, nimmt man es einfach von der Tagesordnung.

  2. Jahrzehntelang wurden Studien der Pharma-Industrie unter Verschluss gehalten, mit denen die Unbedenklichkeit von Gylphosat begründet wurde. Sie galten den Behörden als Grundlage für die Freigabe des Herbizids, doch ihre Veröffentlichung wurde mit „Verweis auf Geschäftsgeheinisse der Industrie“ verhindert. Ein Gerichtsbeschluss machte die Studien nun zugänglich und sogleich stellten sich massive Zweifel an der Zuverlässigkeit ein, wobei das Bundesinstitut für Risikoabschätzung offenbar auch grobe handwerkliche Fehler wohlwollend ignorierte.

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