„Mehrheit für Lockerungen“ titelt das ZDF und zeigt dann eine Statistik, in der sich nur 21 Prozent der Befragten tatsächlich dafür aussprechen. Weitere 35 Prozent hingegen, die das ZDF-Politbarometer offenbar ebenfalls den Befürwortern von Lockerungen zuschlägt, will diese „nur, wenn Fallzahlen nicht stark ansteigen“. Das aber ist nicht das Gleiche wie eine Forderung nach dem Ende des Lockdowns. Vielmehr sprechen sich die Befragten dafür aus, die Maßnahmen weiterhin am Infektionsgeschehen auszurichten.
Wer hier hineininterpretiert, dass die Menschen die Geduld verlieren, unterstellt der Bevölkerung zu Unrecht Ungeduld. Selbstverständlich ist der Wunsch nach einer Rückkehr zur Normalität groß. Wie sollte es auch anders sein. Trotzdem will über ein Drittel der Befragten nur Lockerungen, wenn sich die gesundheitliche Lage dadurch nicht verschlechtert. 41 Prozent halten das sogar für verfrüht und sprechen sich gleich für eine Aufrechterhaltung des Lockdowns aus. Es ist also genau umgekehrt als die Schlagzeile des ZDF suggeriert: Die große Mehrheit wartet offenbar bereitwillig auf Lockerungen, bis das Infektionsgeschehen das zulässt.
Die Ergebnisse weisen aber auch darauf hin, dass die Antwortmöglichkeiten wohl unglücklich gewählt waren und das ZDF froh sein kann, dass nicht viel mehr für die Option der bedingten Öffnung votiert haben. Wer hätte nicht gern Lockerungen, wenn man sich keine Sorgen um die Fallzahlen machen müsste. Eine vom Spiegel herangezogene Umfrage des Meinungsforschugnsinstituts Civey kommt denn auch zu anderen Ergebnissen: Hier sprechen sich 49 Prozent dafür aus, ab dem 7. März die Regeln zu lockern. Obwohl die Befragung zwei Wochen vor diesem Datum stattfand, wurde nicht abgefragt, ob dies in jedem Fall geschehen soll. Dadurch lässt sich nicht unterscheiden, ob die Befragten einfach von einem nachlassenden Infektionsgeschehen ausgingen oder unbedingt eine Rückkehr zur Realität wünschen.
Darauf könnte eine zweites Befragungsergebnis des bereits genannten Politbarometers eine Antwort geben. Demnach sprechen sich 40 Prozent für Öffnungen von Läden und Geschäften aus, aber nur 22 Prozent für Lockerungen bei den Kontaktbeschränkungen oder im Restaurantbetrieb. Ganz offensichtlich steht der Sinn nicht nach einer Rückkehr zur Normalität ohne Rücksicht auf Verluste, sondern es gibt eine differenzierte Sicht auf den Einfluss einzelner Maßnahmen aufs Infektionsgeschehen. Für Viele scheint es keinen Grund zu geben, andere Geschäfte geschlossen zu halten, wenn Supermärkte, Kioske und einiges andere geöffnet hat. Geselliges Beisammensein wird aber weiterhin als Treiber von Ansteckungen erkannt.
Man hat das Gefühl, dass eine reißerische Schlagzeile wichtiger war als eine angemessene Interpretation. Während weite Teile der Bevölkerung offenbar eine differenzierte Sicht auf die Pandemie pflegen, geben Journalisten dies völlig undifferenziert wieder und lassen so wieder einmal das Volk dumpf erscheinen. Indem man auf diese Weise das Vertrauen in die Urteilsfähigkeit der Menschen untergräbt, schädigt man letztlich die Demokratie. Bei genauerer Betrachtung erweist sich das Volk allerdings als durchaus verständig.
Ein Gedanke zu „Undifferenzierte Berichterstattung über differenziertes Stimmungsbild“