Analyse in Hollywood-reifer Dramaturgie

– gegengelesen –

Shoshana Zuboff: Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus

Shoshana Zuboff: Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus
Shoshana Zuboff: Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus

Gleich zu Beginn stellt Shoshana Zuboff in bester US-amerikanischer Manier klar wer die Guten und wer die Bösen sind: Apple gut, Google böse! Tatsächlich nimmt sie sich dann im Buch hauptsächlich Google und nebenbei ein wenig Facebook und Microsoft vor – mit vielsagender Begründung:

„Apple zum Beispiel hat bislang eine Grenze gezogen und versprochen, sich einiger der Praktiken zu enthalten, die ich als charakteristisch für das überwachungskapitalistische Regime sehe. Nicht, dass das Verhalten der Firma in dieser Hinsicht perfekt wäre; die Grenze ist zuweilen unscharf, und es ist durchaus möglich, dass Apple seine Ausrichtung ändert oder ihr zuwiderhandelt. Amazon pochte einst mit Stolz auf seine anwaltschaftliche Identifizierung mit dem Kunden und die positive Dynamik zwischen dem Sammeln von Daten und der Verbesserung des Service. Beide Firmen generieren Einnahmen aus dinglichen wie digitalen Produkten und sehen sich deshalb nicht im selben Maße unter Druck wie reine Datenunternehmen, Einkünften aus der Überwachung ihrer Kundschaft nachzujagen.“ (S. 39)

Na, wenn die Firmen das so sagen, dann muss es doch stimmen. Das genügt Zuboff offenbar. Dabei könnte es auch sein, dass Google lediglich transparenter mit seiner ausschweifenden Datennutzung umgeht. So ist bekannt, dass Regierungen – auch illiberale Regime – Zugriff auf Apple-Geräte haben und teilweise für die Verfolgung missliebiger Personen nutzen.

Ganz sicher aber hat Zuboff damit Recht, dass der personalisierte Werbemarkt im Internet, auf der Grundlage personenbezogener Daten arbeitet und Google hier Vorreiter ist. Ob die Überwachung bei Apple kleiner ausfällt, nur weil es hinsichtlich der Monetarisierung solcher Daten weniger erfolgreich ist, darf angesichts der Zugeständnisse an China bezweifelt werden.

Der Rest des Buches von Zuboff ist eine äußerst langatmige Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen, Anektoden und persönlichen Erfahrungen ohne klare Systematik, dafür mit einer Prise Selbstverliebtheit. Zuboff schreibt gern – auch über sich. Dieser Eindruck findet seine Bestätigung darin, dass Zuboff es problemlos schafft, auf Seite 7 ihre über 500 Seiten langen Ausführungen zum Überwachungskapitalismus in 8 sehr allgemein gehaltenen Sätzen zusammenzufassen. So lautet Satz 1 etwa:

„1. Neue Marktform, die menschliche Erfahrung als kostenlosen Rohstoff für ihre versteckten kommerziellen Operationen der Extraktion, Vorhersage und des Verkaufs reklamiert“.

Nun ist das Geschäftsmodell der Internetkonzerne wahrlich nicht „versteckt“, sondern hinlänglich bekannt und so sind es die meisten substantiellen Punkte von Zuboff auch.  Die weniger substantiellen Punkte wirken dafür des Öfteren etwas einseitig:

„Google ist als Unternehmen ein notorischer Geheimniskrämer, und man kann sich dort nur schwerlich Peter Drucker mit seinem Notizblock vorstellen. Googles Chefetage verkündet ihr digitales Evangelium sorgfältig formuliert in Form von Büchern und Blogs, während ihre Praktiken selbst weder der Forschung noch Journalisten ohne weiteres zugänglich sind.“ (S. 86)

Nunja, das ist natürlich nicht falsch, klingt aber (auch im direkten Kontext) so, als wäre Google hier in irgendeiner Form ein Sonderfall. Für Geheimniskrämerei sind aber wahrlich nicht nur Internetkonzerne allesamt bekannt, sondern auch zahlreiche Vertreter der Old Economy. Diese Einseitigkeit ist verwunderlich, hätten Zuboffs Analysen doch nur an Substanz gewonnen, wenn ihre Allgemeingültigkeit deutlich würde.

Fast hat man das Gefühl, dass es der Autorin geht wie so vielen: Irgendwie will jede/r ganz fest glauben, selber nicht so ganz tief in den Schlamassel verstrickt zu sein, den wir alle ahnen. Wir wollen nicht wahrhaben, dass wir längst vollständig überwacht sind. Wir wollen, dass es einen Weg gibt, die Vorzüge des Internet und der Plattform-Konzerne zu genießen, ohne von deren Nachteilen und Abgründen betroffen zu sein; und Zuboff hofft offenbar noch, dass Apple diese Möglichkeit bietet, jedenfalls kann man sich schwer etwas anderes vorstellen als dass sie Apple-Geräte nutzt und ihre Privatsphäre dort für sicher hält.

Das Buch endet irgendwann ebenfalls typisch US-amerikanisch in einer wehmütigen Rückbesinnung, wie könnte es anders sein, auf Thomas Paine und die 200 Jahre alten Ideale der amerikanischen Unabhängigkeit, vor deren Hintergrund beklagt wird, dass Algorithmen sich indifferent gegenüber persönlichen Schicksalen verhalten. Welch Überraschung! Weil das Internet Schwarmverhalten fördere, ohne dass Zuboff sich mit der Frage auseinandersetzt, ob das nicht in einer Gesellschaft der Massenproduktion noch stärker der Fall war, macht sie noch einen gefährlichen Kollektivismus aus, um schließlich in bestem US-amerikanischen Stil die antisozialistischen Geister zu beschwören. Aber soll man das bemängeln, wenn die aus der Filmbranche bekannte Dramaturgie ganz offensichtlich auch beim Verkauf von Sachbüchern hilft?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert