
Medien treten gerne mit dem Anspruch auf, der Leserschaft Informationen bieten zu wollen, sodass die sich ihre Meinung bilden können. Zuweilen gewinnt man aber den Eindruck, dass sie eher die Informationen zu den Meinungen bieten, welche sie in der Bevölkerung für vorherrschend halten. Ganz nach der Devise: Wenn sich etwa in der Bevölkerung eine gewissen Fremdenfeindlichkeit breit zu machen scheint, kann es doch nicht schlecht für den Umsatz sein, dieses Verlangen mit geneigten Informationen zu bedienen.
Den Anfang macht dann üblicherweise nicht die Berichterstattung selbst, sondern Meinungsartikel, die dazu dienen, die Stimmungslage auszuloten. Sie stehen quer zum neutralen Informationsanspruch und bieten eine Meinung frei Haus, die sich doch die Lesenden selbst erst bilden sollten. Immerhin aber, zeigt die Reaktion darauf an, so hofft man zumindest, wo die Leserschaft steht.
Nikolaus Blome vom Spiegel glaubt nun erkannt zu haben, „wie sehr sich das Land und die Leute verändert haben,“ und hält es deshalb „für aus der Zeit gefallen“, wenn bei Straftaten die Nationalität der Verdächtigen nicht genannt wird. Wenn das mal nicht ehrlich ist: Es geht allein darum, was zur Zeit und den Leuten passt. Und wenn diese Leute die Nationalität wissen wollen, dann gebt sie an. Und wenn unter Kriminellen der Ausländeranteil höher ist als in der Bevölkkerung, dann sei das, so Blome, „erklärungsbedürftig, und daran hin und wieder zu erinnern alles andere als rassistisch.“
Hört, hört, der Spiegel auf den Spuren des Boulevard. Wer hätte es gedacht? Aber wenn sich Zeit und Land und Leute nunmal ändern, dann muss das der Spiegel offenbar auch. Wen kümmern da noch ethische Fragen und wissenschaftliche Vorbehalte? Unterwerfung unter den vermeintlichen Zeitgeist anstatt Informationen für einen besseren Zeitgeist.
Auf Boulevard-Niveau begibt sich Blome nicht einfach nur dadurch, dass er den „Leuten“, die er offenbar für repräsentativ für Deutschland und moralisch integer hält, nach dem Mund redet, sondern er verstärkt diesen Eindruck noch dadurch, dass er zu den bekannten Einwänden gegen die Nennung der Nationalität nicht wirklich Stellung nimmt. Ja, ihm ist bekannt, dass „Stigmatisierung“ die Folge sein könnte, aber wenn Ausländer nunmal überdurchschnittlich kriminell wären, dann dürfe man, wie gesagt, wohl ja noch „daran hin und wieder erinnern“. Das wird man wohl noch sagen dürfen! Jetzt auch im Spiegel!
Kein Wort verliert Blome darüber, dass die Stigmatisierung selbst bei Unterrepräsentation stattfinden dürfte, weil die Menschen dem so genannten Confirmation Bias bzw. Bestätigungsfehler unterliegen, der sie eilfertig die Informationen aufgreifen lässt, die ihre Weltsicht stützen. Wer Ausländer für kriminell hält, sieht sich durch entsprechende Meldungen bestätigt und bekommt gar nicht mit, ob sich die Vielzahl an Meldungen nun repräsentativ verhält oder nicht.
Kein Wort auch darüber, dass Ausländer in Deutschland Vorschriften verletzen können, die Deutsche gar nicht betreffen. Insbesondere Asylbewerber unterliegen strengen Vorgaben. Kein Wort darüber, dass auf Ausländer häufiger der Verdacht fallen könnte, weil die „Leute“ es ihnen eher zutrauen. Ein Schelm, wer glaubt, das könnte überdurchschnittlich oft unter denjenigen der Fall sein, denen Ausländer ohnehin nicht geheuer sind. Die Nennung der Herkunft von Verdächtigen und tendentiöse Verdächtigungen verstärken sich dann gegenseitig. Kein Wort schließlich darüber, dass Ausländer besonders häufig Bevölkerungsgruppen angehören, die auch unter Deutschen überdurchschnittlich oft kriminell auffallen: niedrige Bildung, niedrige Einkommen, schlechte Perspektiven, schwache Integration.
Können wir davon ausgehen, dass Blome das alles unbekannt ist? Eher weniger, immerhin ist er Journalist. Er wird sich doch hoffentlich informiert haben, bevor er einen Meinungsartikel auf einem großen Nachrichtenportal veröffentlicht. Was also will Blome, außer Vorurteile bedienen, für die es ihm offenbar genügt, dass er sie für zeitgemäß hält?
Wir dürfen gespannt sein, was als nächstes kommt. Was wenn die „Leute“ endlich wissen wollen, welche Hautfarbe die Verdächtigen haben, welcher Schicht sie angehören, welche Musik sie hören, welche Eissorten sie bevorzugen, welche Augenfarbe sie haben? Warum nicht gleich auffällige Häufigkeiten bei bestimmten Gensequenzen ausfindig machen?
Unschuldsvermutung war gestern! Generalverdacht ist heute! Wenn du Syrer bist und diese überdurchschnittlich oft kriminell werden, dann stehst du natürlich auch unter Verdacht. Du kannst so anders sein als all die anderen Syrer, wie du willst, du kannst ein Einser-Abitur haben, völlig unreligiös und einen Studienplatz für ein Medizinstudium erhalten, du stehst trotzdem unter Verdacht (ein solcher Syrer studiert übrigens in Hamburg, Herr Blome!). Denn wir Deutschen sind ja auch alle gleich, nicht wahr?!
Analog gilt das natürlich auch, wenn du arm bist oder die falsche Musik magst, sobald wir herausgefunden haben, dass damit überdurchschnittliche Kriminalität einhergeht, bist du dran!