Der rechenschwache Journalismus

Hallo Herr Thiel, hallo Spiegel-Redaktion,

Ja klar, wenn Maurizio Azzaro behauptet, wie Sie schreiben, dass der ökologische Fußabdruck der 5000 km Luxus-Kreuzfahrt nur „minimal“ sei und die Ottonormalbürger-Kreuzfahrten nach Grönland das „wirkliche Problem“, dann lasst die Reichen weiterhin zum Pol der Unzugänglichkeit cruisen. Vielleicht erinnert sich die eine oder der andere daran, dass Kreuzfahrten generell mal zum allergrößten Luxus gehörten, wie Urlaub anno dazumal überhaupt, und beides heute zum Standardprogramm der Mittelklasse zählt. Der Triggle-Down-Effekt, dessen segensreiche Wirkung die liberale Wirtschaftstheorie stets beschwört, kommt nirgends deutlicher zum Ausdruck als beim Reisen. Die Menschen reisen immer mehr, immer weiter, immer aufwendiger, immer zerstörerischer. Sehenswürdigkeiten und Natur müssen längst vor den Massen geschützt werden. Overtourism, wohin das Auge blickt.

Aber wegen dem bisschen Zerstörung will man doch jetzt nicht den Reichen ihren Spaß verderben. Die brauchen doch etwas, mit dem sie sich von der Masse abheben können und wollen allen anderen vormachen, wie es noch krasser geht. Bali für alle haben wir längst, Malediven für alle fast, Mount Everest für alle ist in Arbeit, der Pol der Unzugänglichkeit für alle wird bald kommen, fehlt noch Weltraum für alle. Zum Glück ist das leidige Thema Klimakrise ohnehin gegessen. Was noch darum scheren. Weiter so! Und zwar immer krasser! Nach uns die Sintflut!

Klar: Die Luxus-Kreuzfahrt ist vernachlässigbar!? Wie wäre es mal mit Nachrechnen? Wieviele Jahre vernünftig leben verplempert der CO2-Ausstoss der Drei-Wochen-Luxus-Sause? Mit Anflug und Rückflug bitte! Dann hätten wir zumindest einen Hauch Journalismus, statt nur Werbung für den Reiseveranstalter!

Was mich jetzt interessieren würde, Herr Thiel: Womit haben sie größere Probleme? Mit ihrem Handwerk oder mit ihrem Gewissen? Und: Halten Sie Ihre Leser eigentlich für blöd?

Übrigens kommt ein (vermutlich konservativ rechnender) Online-Rechner ohne Flüge schon auf einen Wert, der zwei Jahre CO2-Ausstoss eines Durchschnittsdeutschen entspricht! Für den Flug kommt nochmal ein halbes Jahr oben drauf. Für drei Wochen Urlaub!

Drei Grad Erderwärmung? Wir schaffen das!

2 Gedanken zu „Der rechenschwache Journalismus

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