Unwesen der Organisationen

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Niklas Luhmann: Organisation und Entscheidung (Teil 1)

Niklas Luhmann: Organisation und Entscheidung
Niklas Luhmann: Organisation und Entscheidung

Der Begriff System findet breite Anwendung. Man findet ihn heute in allen möglichen Kontexten: im technischen Bereich ebenso wie im politischen oder im sportlichen. Insofern kann es nicht überraschen, dass er auch auf Organisationen angewandt wird. Das mag oftmals unsystematisch geschehen, im Falle der Systemtheorie jedoch darf man davon ausgehen, dass sie sehr genau angeben kann, warum sie Organisationen als Systeme auffasst. Damit allein ist allerdings noch nichts gewonnen, denn die Frage ist, welche Erkenntnisse sich daraus ergeben.

Die Systemtheorie tritt häufig so auf, als strebe sie lediglich danach, eine von mehreren möglichen Beschreibungen anzufertigen, die einfach nur einen anderen Blick auf die Dinge ermöglichen soll. Doch brächte sie keine neuen Einsichten und keine Anregungen hervor, geriete sie sicherlich bald in Vergessenheit. Statt dessen erfreut sie sich nach wie vor regem Interesse. Offensichtlich vermag sie eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, obwohl sie oft als schwer zugänglich bezeichnet wird. Auch gilt sie nicht als unmittelbar anwendungsbezogen.

Beides ist für eine breite Rezeption innerhalb von Organisationen hinderlich. Insofern drängt sich der Eindruck auf, dass die Faszination einseitig auf akademischer Seite vorliegt, während das Management nicht viel damit anzufangen weiß. Wenn man die neuartige Beschreibung bestimmter Phänomene als Selbstzweck ansieht, könnte man es dabei belassen. Wenn man sie aber anstellt, um auch außerhalb der akademischen Welt einen neuen Blick auf die Dinge anzustossen, um zum Überdenken bestehender Muster anzuregen, dann genügt eine wissenschaftliche Auseinandersetzung damit nicht. Wenn die Systemtheorie einen Informationswert haben soll, muss sie einen Unterschied machen – und das nicht nur für Wissenschaftler.

Die Selbstreferentialität der Organisation

Die Systemtheorie tritt mit einem universalen Anspruch auf, speziell Organisationen hat aus ihrer Perspektive Niklas Luhmann in den Blick genommen. Sein Abstraktionsniveau trägt zweifellos dazu bei, dass mancher Zugänglichkeit und Anwendungsbezug vermissen mag, zugleich aber bietet es Übertragbarkeit auf verschiedenste Sachverhalte und analytische Klarheit. Um Analysemethoden übertragen zu können, ist es notwendig, dass sie unabhängig von Inhalten angewandt werden können. Wesensannahmen stehen einem solchen Unterfangen somit im Weg und so lehnt sie Luhmann für Organisationen ab.

„Die Theorie selbstreferenzieller Systeme verzichtet darauf, ihren Gegenstand (in unserem Falle: Organisationen) durch Wesensannahmen zu bestimmen. Die Erfahrung lehrt, dass solche Annahmen zu unlösbaren Meinungsverschiedenheiten führen, sobald verschiedene Beobachter das, was sie für das Wesen der Sache halten, verschieden definieren – mag es sich um das Wesen des Rechts, das Wesen von Politik, von Familie, von Religion oder eben: von Organisation handeln. Wir beginnen deshalb mit einer zirkulären Definition: Eine Organisation ist ein System, das sich selbst als Organisation erzeugt.“ (Luhmann 2000: S. 45)

Anstelle einer Wesensannahme wird eine zirkuläre Definition getroffen, was auf den ersten Blick unbefriedigend wirkt, weil es klingt wie die überflüssige Aussage: „Eine Organisation ist eine Organisation.“ Dahinter steckt jedoch der grundlegende Gedanke, dass nur das System selbst darüber bestimmt, was zum System gehört und was nicht. Ebenso wie ein Organismus festlegt, ob eine Zelle als Bestandteil oder Fremdkörper angesehen wird, entscheidet eine Organisation selbst, was sie als zugehörig betrachtet und was nicht. Jedes System verhält sich mithin selbstreferentiell.

Für Konzernlenker dürfte das keine große Neuigkeit darstellen, sind sie es doch gewohnt, nicht nur Personal in großem Umfang zu akquirieren und wieder zu entlassen, sondern es ebenso mit ganzen Betriebszweigen zu halten. Für sie kann es keinen Wesenskern des Unternehmens geben, denn falls es für notwendig erachtet wird, muss man sich von allem trennen können.Wie wir dank Nokia wissen, kann aus einer Papierfabrik ein Gummistiefelhersteller werden, der mit Mobiltelefonen vorrübergehend die Marktführerschaft übernimmt, sich nach dem Verlust derselben von der Sparte trennt und dann auf Netzwerktechnologie spezialisiert, um später wieder Mobiltelefone unter der Marke zu vertreiben. Was zum Unternehmen gehört und wie lange, wird im Unternehmen entschieden.

Wer von Organisationen die Erfüllung bestimmter Zwecke erwartet, sollte klarstellen, auf welcher Grundlage er sich dabei stützt, denn von außen herangetragene Erwartungen müssen wirkungslos bleiben, solange die Organisation diese nicht selbst hegt. Dazu verpflichten lässt sie sich nur, wenn sie Teil einer größeren Einheit ist oder sich in Abhängigkeit davon befindet. Staatliche Organisationen bleiben an vorgegebene Zwecke gebunden, während etwa eigenständige Unternehmen oder Vereine sich jederzeit neu orientieren können. Ein Golfclub könnte sich in eine Networking-Plattform wandeln.

Der Hinweis auf die Selbstreferentialität gemahnt daran, nicht allzu hohe Erwartungen an Kontinuität heranzutragen, sofern jenes Bild, das Konzerne seit einiger Zeit abgeben, hier nicht ohnehin schon eine nivellierende Wirkung entfaltet hatte. Aus systemtheoretischer Sicht ist das weniger als Defizit moderner Unternehmen anzusehen, sondern muss vielmehr als Grundeigenschaft von Organisation gewertet werden. Die häufig nur deshalb nicht offen zu Tage tritt, weil sich eine Einrichtung in Abhängigkeit zu einer anderen Organisation befindet. Stabilität erscheint aus einer solchen Perspektive nicht als selbstverständlicher Normalfall, sondern als das eigentlich Erklärungsbedürftige.

Niklas Luhmann: Organisation und Entscheidung; Opladen/Wiesbaden 2000.

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