Am Morgen des 9. September 2020 sind vom Flüchtlingslager Moria auf Lesbos nur noch verkohlte Reste übrig. 12000 Menschen haben ihre ohnehin spärlichen Unterkünfte durch ein Feuer verloren. Einen Monat später hat Deutschland 804 Flüchtlinge aus griechischen Lagern aufgenommen – nicht nur aus Moria. Auf Lesbos harren weiterhin Tausende in einem provisorischen Lager unter traurigen Bedingungen einer ungewissen Zukunft.

Einen Monat nach dem Brand hat sich für einige wenige Betroffene ein Leben unter würdigen Umständen in Deutschland eröffnet, während die meisten Flüchtlinge unter nunmehr schlechteren Bedingungen leiden.
Eine Woche nach dem Brand ergaben Umfragen von der Tagesschau und vom ZDF eine große Mehrheit von beinahe 90 Prozent für die Aufnahme der Betroffenen aus Moria: Laut ZDF Politbarometer befürworteten 43 Prozent der Befragten die Aufnahme bedingungslos und 46 Prozent machten sie von einer europäischen Einigung abhängig, nur 9 Prozent waren dagegen. Die Menschen wollten die Zustände nicht mit ansehen und erachteten Hilfe als ein Gebot der Menschlichkeit.
Entsprechend mitfühlend gaben sich die Politiker, hatten dann aber keine Mühe jede Änderung zu verschleppen und von unlösbaren institutionellen Zwängen abhängig zu machen. Der Hinweis auf die Notwendigkeit einer europäischen Einigung, von der man wusste, dass sie niemals zu Stande kommen würde, diente als willkommene Gelegenheit, nichts zu verändern. Vermutlich kosteten die von vornherein zum Scheitern verurteilten Verhandlungen in ihrer hochkarätigen Besetzung den deutschen Steuerzahler mehr als die Aufnahme der nun 800 Flüchtlinge. Ohnehin verdeutlicht es die symbolische Sinnlosigkeit des politischen Betriebs, wenn europäische Spitzenpolitiker enormen Aufwand darauf verwenden, aussichtslose Verhandlungen darüber zu führen, ob Länder mit Millionen Einwohnern jeweils einigen hundert Menschen ein würdiges Leben gewähren sollen.
Der Schrecken über den europäischen Umgang mit Flüchtlingen war groß und doch hat sich nichts verändert. Unmittelbar nach dem Brand sprachen Politiker in ganz Europa von Handlungsbedarf, doch einen Monat später ist alles beim Alten. Die Aufnahme von 800 Flüchtlingen ändert an der Situation in Griechenland nichts grundsätzlich. Moria zeigt, wie europäische und republikanische Institutionen Demokratie erschweren, wenn nicht gar verhindern. Die Bevölkerung wollte in großer Mehrheit den Flüchtlingen helfen, die Politiker aber nutzten jede Gelegenheit, die ihnen der komplexe Rahmen an Gremien, Behörden und Regularien bot, um den offenkundigen Mehrheitswillen nicht zu seinem Recht kommen zu lassen. Wie hier so auch anderswo ermöglichen längst die bestehenden Institutionen Europas keine politischen und schon gar keine demokratischen Fortschritte, sondern bieten eine Vielzahl an Möglichkeiten, sie zu verhindern.