Selbstbeobachtung und Selbstorganisation

– gegengelesen –

Niklas Luhmann: Organisation und Entscheidung (Teil 3)

Niklas Luhmann: Organisation und Entscheidung
Niklas Luhmann: Organisation und Entscheidung

Damit eine Organisation sich selbst organisieren kann, muss sie sich von ihrer Umwelt abgrenzen. Sie muss festlegen, was zur Organisation gehört und was nicht. Selbstverständlich beruht diese Festlegung schlussendlich wiederum auf einer Entscheidung. Es kann zwar von anderen bestritten werden, dass etwas zu einer bestimmten Organisation gehört, dessen ungeachtet kann diese Organisation dies aber dennoch als zugehörig behandeln und sich so verhalten, als ob es daran gar keine Zweifel gäbe, wie man etwa am Verhalten des russischen Staatsapparats mit der Krimkrise erkennen kann. Ein Streit über die Zugehörigkeit zur einen oder anderen Organisation kann deshalb nur aufgelöst wereden, indem eine Seite seine Ansprüche aufgibt, ansonsten besteht der Konflikt weiter, selbst wenn die Ansprüche schon zuvor völlig ohne Wirkung blieben.

Damit eine Organisation überhaupt imstande ist, etwas als zugehörig zu behandeln, muss sie einen Blick darauf werfen, sie muss sich selbst beobachten, wie Niklas Luhmann schreibt:

„Ein System, das sich selbst erzeugt, muss sich selbst beobachten, das heißt: sich selbst von seiner Umwelt unterscheiden können.“ (S. 46f)

Die Organisation mag ein Selbstbild pflegen, sich über einen bestimmten Wesenskern identifizieren oder Selbstbeschreibungen anfertigen. Das alles kann allerdings relativ unabhängig davon geschehen, was sie dann in konkreten Entscheidungen als zugehörig betrachtet. Zwar geht auch das Anfertigen von Dokumenten der Selbstvergewisserung auf Entscheidungen zurück, das verhindert jedoch nicht, dass andere Beschlüsse Zurechnungen zur Organisation mitführen, die durch diese dokumentarische Erfassung nicht abgedeckt sind. Schon die schlichte Vielfalt an Entscheidungen bietet Möglichkeiten zur Entkopplung unterschiedlicher Zurechnungspraktiken. Das muss nicht immer unbeabsichtigt etwa aus Mangel an Überblick geschehen, sondern so manche Organisation nutzt solcherlei Entkopplung bewusst. Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit wären anders gar nicht denkbar. Doch auch jede Absprache unter Kollegen, die offizielle Entscheidungswege umgehen, beruhen darauf, organisationsrelevante Entscheidungen zu treffen, die intern als solche nicht erkennbar sein dürfen.

Niklas Luhmann: Organisation und Entscheidung; Opladen/Wiesbaden 2000.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert