Welches Demokratieverständnis steckt hinter der Angst vor Neuwahlen?

Stimmaneile CDU Thüringen
Stimmaneile CDU Thüringen

Die CDU Thüringen ist, wie es nunmal so üblich ist, mit Programm und Kandidaten in die Landtagswahl 2019 gezogen, um Bürger von sich zu überzeugen. Das ist ihr sogar so weit gelungen, dass sie damit knapp 22 Prozent der Stimmen holen konnte. Wenn es auch ein Drittel weniger waren als fünf Jahre zuvor, so haben doch eine ganze Menge Thüringer der Partei den Auftrag gegeben, sie in der Weise zu vertreten, wie es Programm, Ankündigungen und Versprechungen erwarten lassen. Und was macht die CDU?

Bei der Wahl des Ministerpräsidenten stimmt sie für einen Kandidaten, dessen Partei bei der Landtagswahl nur fünf Prozent der Stimmen geholt hat. Konnten die 240.000 Wähler der CDU damit rechnen? Nein. Ist es aber nicht die Idee einer repräsentativen Demokratie, dass sich Repräsentanten im Sinne ihrer Wähler verhalten oder zumindest im Sinne des Landes? Doch, irgendwie schon.

Wenn man alles dafür tun wollte, um die repräsentative Demokratie, wie wir sie kennen, zu schädigen, man hätte es nicht besser machen können: man nutzt ihre Regeln für taktische Spielchen; man schanzt Regierungsverantwortung denjenigen zu, die die wenigsten Stimmen erhalten; man verhindert schließlich Neuwahlen, damit die Wähler nicht als letzte verbliebene verantwortungsbewusste Instanz die Verhältnisse gerade rücken können.

Die ungerührte Fortsetzung des Taktierens nachdem man mit dem taktischen Manöver bei der Ministerpräsidentenwahl geradezu unheimlich erfolgreich, offenbart das tiefere Demokratieverständnis der CDU: Wahlen bitte nur, wenn es uns in den Kram passt.

Eigentlich begründet man Repräsentation ja damit, dass man das Volk vor seinem eigenen Wankelmut schützen möchte, weil man befürchtet, dass es sich zu leichtfertig Emotionen hingibt, gegen die man Repräsentanten gefeit glaubt. In Thüringen aber gilt das Umgekehrte: Hier schützt ein System, das für gewöhnlich nur alle paar Jahre Wahlen zulässt, wankelmütige Politiker vor dem gerechten Zorn des Volkes.

Die Thüringer Abgeordneten von CDU und FDP bewegen sich auf einem Niveau, das nach der Abschaffung von Repräsentation geradezu schreit: Nicht nur, dass sie zunächst so tun, als wären sie von der AfD übertölpelt worden, obwohl sie von Vertretern der Bundespartei genau vor solchen Szenarien gewarnt worden waren. Schlimmer noch: Sie haben offenbar keinen Moment darüber nachgedacht, wie es weitergehen soll, falls ihr Wunschkandidat tatsächlich Ministerpräsident werden sollte. Offenbar reichte der politische Weitblick der Repräsentanten der CDU nur exakt bis zur kindlichen Freude darüber, es den Linken endlich mal zeigen zu können. Jede weitere Anstrengung der Vernunft erstarb offenbar im Entzücken über diese einmalige Chance.

Aber, liebe CDU Thüringen, noch ist es nicht zu spät, einen Punkt eures Programms für die Landtagswahl einzulösen:

„Das Vertrauen wird gestärkt, wenn wir Politik nicht über die Köpfe der Menschen hinweg machen. Unser Ziel ist, dass die Bürger auch zwischen den Wahlen einfacher mitentscheiden können.“ (S. 16)

Ja, gute Idee! Lasst die Bürger ran!

2 Gedanken zu „Welches Demokratieverständnis steckt hinter der Angst vor Neuwahlen?

  1. Ein Jahr später will die CDU nichts mehr von der Vereinbarung wissen, dass nur Neuwahlen Legitimation für eine neue Regierung in Thüringen liefern können, dass also der Wähler die Möglichkeit haben muss, seine Haltung zu den unsäglichen Vorgängen kund zu tun. Über ein Jahr später ist ohnehin reichlich spät, doch haben sich die Zahlen der CDU noch nicht wirklich erholt und so scheren nun vier Abgeordnete der Partei aus. Genau die Anzahl, die ausreicht, um die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit zu verhindern. Was für ein Zufall!?

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