Wozu Brexit?

Brexit: Umfrage-Ergebnisse für Großbritannien (Quelle: Wikipedia/YouGov)
Brexit: Umfrage-Ergebnisse für Großbritannien (Quelle: Wikipedia/YouGov)

Vielen galt und gilt der Brexit als Versagen direkter Demokratie. Weil die Mehrheit der Briten sich für den Austritt aus der EU aussprach, wurden wieder einmal Stimmen laut, dass das Volk ebenso töricht wie unberechenbar sei und zu Fehlentscheidungen neige. Einige Politiker und Journalisten, die sich selbst Demokraten nennen, halten normale Menschen für uninformiert, unverantwortlich oder unfähig. Wenn der Brexit abgelehnt worden wäre, hätte man sich mit dem Volk zufrieden gezeigt, so aber zeigt man ihm unverhohlen seine Abneigung. Ganz offensichtlich hegt so mancher ein Demokratieverständnis, dass darauf hinausläuft, das Volk nur so lange als Souverän anzuerkennen, wie es gemäß den eigenen Vorstellungen abstimmt. Sobald es davon abweicht, wird die Tauglichkeit des Volks grundsätzlich angezweifelt.

Unter denjenigen, die aus welchem Grund auch immer das Privileg genießen, sich öffentlichkeitswirksam äußern zu können, fanden sich zu allen Zeiten Angehörige, die dem Volk die Befähigung zur Herrschaft in Abrede stellen. Was sich für einen Monarchen geradezu zwingend ergibt, wirkt allerdings dann irritierend, wenn sich dieses Privileg im wesentlichen demokratischen Mechanismen verdankt, wie das für Politiker heute gilt. Immerhin stellen diese dann die Grundlage ihrer eigenen Position in Frage. Doch wenn das Volk nicht in der Lage ist, schwierige Entscheidungen zu fällen, dann dürfte dies auch für die Wahl von Repräsentanten gelten. Denn in einem solchen Fall ist die Personalentscheidung weitreichender als eine einzelne Sachentscheidung, weil damit deren verbunden sind. Darüber hinaus ist es keineswegs einfacher, darüber zu befinden, wer für repräsentative Aufgaben geeignet ist. Während bei einer Sachentscheidung ein bestimmter Informationsstand vorliegt, bleiben die Qualitäten eines Kandidaten vergleichsweise unbestimmt. Oft weiß man nicht viel über die Personen, die auf dem Wahlzettel stehen, nicht selten nur das was ebendort notiert ist.

Nicht weniger verdanken Journalisten ihre Position jener Bevölkerung, dergegenüber sie sich bisweilen überlegen fühlen. Immerhin leben sie von der Nachfrage des Publikums. Selbst wenn sie sich zu einem guten Teil über Werbung finanzieren, hängt diese schlussendlich von der Reichweite ab.

Demokratiedefizit der EU

Dass in Großbritannien überhaupt eine Stimmung entstehen konnte, die ein Referendum heraufbeschwor, dürfte weniger an zu viel Demokratie, denn vielmehr an zu wenig davon gelegen haben. Der Verdruss an der EU rührt sicherlich nicht vom Gefühl her, dass die Bevölkerung zu viel Einfluss auf Entscheidungen in Brüssel ausübt. Nicht nur Briten erleben die EU-Institutionen als abgehoben und ihre Legitimation nach demokratischen Maßstäben als fragwürdig – und das nicht erst seit dem Brexit. Die EU wird noch nicht mal Ansprüchen an Repräsentation gerecht, zumal die Bedeutung des demokratisch gewählten EU-Parlaments vernachlässigbar ist. Alle großen Entscheidungen fallen ohne Vertretung des europäischen Volks, statt dessen entscheiden Vertreter der Mitgliedstaaten. Wenn wir deren Regierungen aufgrund ihres Zustandekommens als Vertretung der Parlamentsmehrheit und die Parlamentarier wiederum als Volksvertreter betrachten, dann haben wir es mit Vertretern von Vertretern von Vertretern des Volkes zu tun. Weiter entfernen von der Souveränität des Volkes kann man sich kaum, ohne gleich eine Diktatur auszurufen.

Schon mit Parlamentariern machen wir oft genug die Erfahrung, dass sie entweder abgehoben oder durch Interessen getrieben agieren, die nichts mit denen der Bevölkerung zu tun haben; man denke nur an den Umgang mit Glyphosat. Die EU mag ihre Entscheidungen als demokratisch legitimiert erachten, weil sie ihr Personal aus Staaten rekrutiert, in denen es Wahlen gibt; aber was hilft das, wenn die Bevölkerung das anders sieht. Wenn es genügen würde, dass die Entscheider sich demokratisch legitimiert fühlen, wird kaum ein Regime undemokratisch genannt werden können. Darüber, was als demokratisch gelten darf, kann deshalb letztlich nur das Volk befinden.

Wer also will mit welchem Recht den Briten das Recht absprechen, aus der EU auszutreten, selbst wenn man es für falsch halten mag? Man kann dieses Abstimmungsergebnis zum Anlass nehmen, um an direkter Demokratie zu zweifeln, man kann darin allerdings auch das Symptom eines Demokratiedefizits sehen. Wäre es zum Brexit gekommen, wenn die Bevölkerung mehr in EU-Entscheidungen involviert gewesen wäre?

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