Liberale Selbstverliebtheit

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Carlo Strenger: Diese verdammten Eliten. Wer sie sind und warum wir sie brauchen

Carlo Strenger: Diese verdammten Eliten
Carlo Strenger: Diese verdammten Eliten

Carlo Strenger sieht die „vermeintlich ‚abgehobenen liberalen Eliten‘, um die es in diesem Buch gehen soll, (…) nicht über ihren materiellen Wohlstand definiert“, (S. 10) sondern meint damit eine Menschengruppe, die „liberale und universalistische Ansichten vertritt“ und sich „mit ihren Einkommen im oberen Fünftel der Verteilung“ (S. 11) bewegt. Anders als der Titel verspricht, befasst er sich folglich nicht mit Eliten, zu denen man üblicherweise nur die oberen ein bis zwei, maximal fünf Prozent, jedenfalls Personen mit sehr großem Einfluss zählt. Vielmehr beschäftigt Strenger sich nach eigener Aussage mit der „(oberen) Mittelschicht“ (S. 10). Man beachte die Klammern! Diese Mittelschicht also charakterisiert er kurz mit den üblichen Klischees: hohe Bildung, Mobilität, Individualität und Kreativität; bevor er von Fallbeispielen aus seiner psychotherapeutischen Sitzung berichtet.

Wenn es dort dann um einen Politologen geht, der Regierungen „überall auf der Welt“ (S. 47) berät, oder einen millionenschweren Start-Up-Gründer, der von sich sagt, er könne „jede Person kennenlernen, die ich kennenlernen möchte“, (S. 71) dann tritt hier doch wieder die Elite im üblichen Wortsinne in den Vordergrund. Irgendwie passt das nicht zusammen und das Schlusskapitel verstärkt den widersprüchlichen Eindruck noch.
Als „großen Fehler der liberalen Kosmopoliten“ betrachtet Strenger „die wahrhaft destruktive Neigung“ Gesellschaftsgruppen, die das liberale Weltbild nicht teilen, „geringzuschätzen und runterzumachen“. Dessen habe auch er sich schuldig gemacht, was er „am meisten bereue“ (S. 129).

Auf diese erfreulich selbstkritische Sicht folgt allerdings nicht Demut, statt dessen erfährt liberaler Hochmut noch eine Steigerung: Wie Liberale seit eh und je sieht er das Problem in der mangelnden Bildung des Mobs: „Wenn die liberale Demokratie überleben soll, müssen wir die größtmöglichen Anstrengungen unternehmen, damit die Bevölkerungsmehrheit die Bürgertugenden und Kenntnisse erwirbt, die notwendig sind, um politischen Argumentationen folgen und ihre Stichhaltigkeit einschätzen zu können.“ (S. 160) Mit anderen Worten: Die liberalen Positionen sind richtig, die anderen sind nur zu dumm und ungebildet, um sie zu verstehen.

Deshalb wäre es am besten, alle würden so erzogen, wie Strenger, der sich nicht zu schade ist, mit seiner Bildungskarriere zu prahlen: „Meine Vorstellung von Bildung hat sich jedoch nicht allein in den elf Jahren herausgebildet, die ich an Universitäten studierte, um zwei höhere akademische Grade zu erwerben, bevor ich schließlich begann, dort zu lehren. Sie beruht im selben Maß auf meiner Zeit im Sekundärschulsystem der Schweiz, das überaus fordernd war, aber den Schülern die Grundlagen freiheitlicher Bildung zu vermitteln vermochte. (…) Ja, die Anforderungen waren ziemlich hoch, doch als wir die Matura gemacht hatten, besaßen wir ein Maß an Kenntnissen, das junge Leute in anderen Ländern erst im Grundstudium erwerben.“ (S. 159f)

Wenn ein liberaler Psychotherapeut seinen eigenen Bildungsweg als wegweisend propagiert


Was ist das für ein Psychotherapeut, der empfiehlt, dass doch alle bitte so wie er werden sollten, dann werde schon alles gut? An meinem Wesen soll die Welt genesen! Solche selbstverliebte Überheblichkeit kennt man eigentlich aus einem ganz anderen Lager.

Zumindest dieser Liberale hat noch nichts aus den Fehlern gelernt, die er erkannt zu haben glaubt, und will zudem einen Weg beschreiten, den man wohl eher nicht liberal bezeichnen kann: Ich als Liberaler empfehle eine liberal-elitäre Erziehung für alle, um den Illiberalismus loszuwerden.

Mit dieser Methode suchten Stalinisten und Maoisten, dem Liberalismus zu begegnen und lange Zeit zuvor schon Platon allen Nicht-Platonikern. Ob man dem Liberalismus wirklich einen Gefallen tut, indem man ihn zum Dogma erhebt? Oder verstrickt man sich damit nicht in einen fatalen Widerspruch und leitet Wasser auf die Mühlen derer, denen man es eigentlich abgraben wollte?

Carlo Strenger: Diese verdammten Eliten. Wer sie sind und warum wir sie brauchen; Berlin: Suhrkamp 2019.

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